19.09.2024

Kann Demenz uns alle treffen?

Wir fragten Prof. Dr. Thorsten Bartsch, leitender Oberarzt der Neurologie und Gedächtnis- und Demenzambulanz am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein: Die wichtigsten Infos zusammengefasst und was wir vorbeugend tun können.

Wird Demenz ein Volksleiden?

Laut WHO (Stand 2023) sind zirka 55 Millionen Menschen weltweit betroffen. In Deutschland könnten nach Schätzungen bis 2050 ungefähr drei Millionen Menschen an Demenz erkranken, nach aktuellen Berechnungen sogar jede dritte Person im Verlauf ihres Lebens betroffen sein.

So muss es nicht kommen: Ein besseres Verständnis über Aspekte und Ursachen der Demenz kann Risikofaktoren reduzieren und eine frühe Diagnose helfen, ein Fortschreiten zu verlangsamen.

In der Neurologie und der Gedächtnis - und Demenzambulanz großer Kliniken setzt man auf Früherkennung, Aufklärung und Prävention. Deshalb haben wir Antworten auf die wichtigsten Fragen gesammelt:

Was versteht man unter Demenz?

Demenz ist eine Kombination von Symptomen und beschreibt den Abbau kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten. Ursächlich sind degenerative und nicht degenerative Erkrankungen im Gehirn verantwortlich für den Abbau von Nervenzellen im Gehirn. Zu Beginn sind Kurzzeitgedächtnis und Merkfähigkeit gestört, im Verlauf kommt es zur Störung des Langzeitgedächtnisses.

Mindestens 60% der Demenzerkrankungen werden Alzheimer zugeschrieben, einer neurodegenerativen Erkrankung des Gehirns, die zur unumkehrbaren Zerstörung von Nervenzellen führt.

Kann Demenz uns alle treffen?

Experten sind sich einig: Demenz ist nicht selbst verschuldet - genetische Dispositionen kann man nicht beeinflussen. Aber Risikofaktoren wie Diabetes, Übergewicht, Schlaganfälle, Alkohol oder Kopfverletzungen, die die Entstehung einer Demenz begünstigen, können wir reduzieren. Eine gesunde Lebensführung, ein aktiver und stimulierender Alltag und soziale Kontakte fördern außerdem die Resilienz unseres Gehirns.

Lässt sich Demenz früherkennen?

Mit Prävention und Früherkennung lässt sich der Krankheitsverlauf verlangsamen und/oder Risikofaktoren reduzieren. Der Hausarzt ist die erste Anlaufstelle, um andere Faktoren auszuschließen und überweist dann zu den entsprechenden Fachärzten. Alzheimer lässt sich über Gedächtnistests, MRT und Laboruntersuchen des Nervenwassers nachweisen. Zukünftig sollen Bluttests eine zuverlässige Diagnose möglich machen.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Grundsätzlich gilt: Ein gesunder Lebensstil kann gegen einige Demenzformen vorbeugend helfen. Während primäre Demenzen wie Alzheimer oder die vaskuläre Demenz irreversibel sind, lassen sich bei sekundären Demenzen, die als Folgeerscheinungen anderer Grunderkrankungen auftreten, Symptome häufig rückbilden. Hier widmet man sich der Behandlung dieser Erkrankung. Sind Hirnzellen einmal zerstört, lassen diese sich nicht wieder herstellen.

Experten empfehlen Aktivität und Selbständigkeit für Demenzerkrankte: Neben Medikamenten die z.B. bei primären Demenzen das Fortschreiten verhindern bzw. verlangsamen, gilt es, die Betroffenen so lange wie möglich in einem aktiven Alltag und in ihrer gewohnten Umgebung zu belassen: Alltagsunterstützende Apps, ein funktionierendes soziales Umfeld, Körper und Geist stimulierende Tätigkeiten helfen dabei. Auch in Demenz-WGs finden Betroffene ein soziales Gefüge, Aktivitäten und die notwendige Unterstützung.

Kann man Demenz vorbeugen?

Nicht jede schwache Gedächtnisleistung ist eine Demenz. Wissen hilft bei der Prävention und Unterstützung der Betroffenen und verhindert die Stigmatisierung der Demenzerkrankten.

Die Forschung geht davon aus, dass z.B. die Entstehung von Alzheimer zu etwa 40% durch Risikofaktoren begünstigt wird und der positive Effekt präventiver Maßnahmen auf etwa 30% geschätzt wird.

Solange die Forschung kein Mittel gegen Demenz bzw. Alzheimer gefunden hat, raten Experten zur Selbstvorsorge: Ein funktionierendes soziales Umfeld und eine gesunde Lebensführung kann die Demenz begünstigenden Risikofaktoren reduzieren.

Die Alzheimer Gesellschaft informiert, unterstützt und berät Menschen mit Demenz und ihre Familien, bietet Reha-Maßnahmen an und vermittelt wohnortnahe Ansprechpartner und Selbsthilfegruppen. Hier online nachzulesen: https://www.deutsche-alzheimer.de/

Mehr Expertise zum Thema Demenz gibt es auf dem Therapeutenkongress CON.THERA, der parallel zur Fachmesse REHAB vom 22. Bis 24.05.2025 in der Messe Karlsruhe stattfindet. Hier referiert der renommierte Experte Prof. Dr. med. Thorsten Bartsch vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel als Leitender Oberarzt, Professor für Gedächtnisstörungen und Plastizität (W2) und Leiter der Gedächtnis- und Demenzambulanz.

Tipps für präventive Maßnahmen gegen Demenzielle Erkrankungen im Alltag

1. Bewegung:

Körperlich aktiv zu sein kann ein echter Booster für unsere Gehirnleistung sein und beitragen, die Gehirnleistung auch bei demenziellen Erkrankungen länger zu erhalten.

  • Körperliche Aktivität verbessert die Durchblutung des Gehirns und kann schädliche Ablagerungen in den Blutgefäßen verhindern.
  • Bewegung regt die Hormone an, die Verbindungen zwischen Nervenzellen aufbauen – die Denkleistung wird stabilisiert, das Gehirn leistungsfähiger.
  • Bewegung regt das Zellwachstum im Hippocampus an, dem Lernzentrum des Gehirns

2. Geistige Fitness:

Studien belegen: Wer sein Gehirn bis ins hohe Alter fordert, hat ein geringeres Risko für eine demenzielle Erkrankung. Geistige Aktivität fördert die bessere Vernetzung von Neuronen. Auch im hohen Alter lassen sich Gehirnzellen fordern. Je komplexer die Tätigkeiten sind, desto besser: Kreuzworträtsel lösen und Fernsehen gehören nicht dazu.

  • Musik hören oder machen
  • Lesen
  • Spiele spielen – von Kartenspielen bis Puzzles oder Computer- und Videospielen
  • Neues lernen – Sprachen, eine Sportart, ein neues Hobby
  • Gedächtnistrainings – helfen zur Vorbeugung und auch bei bereits Betroffenen: Aktivierende Übungen fördern kognitive Kompetenzen, trainieren das Langzeitgedächtnis, erhalten soziale Kompetenzen und stärken Sinneswahrnehmungen und Lebensfreude.

3. Ernährung:

Wir können mit geeigneten Lebensmitteln Körper und Geist optimal unterstützen – unser Gehirn verbraucht etwa 20% der Energie, mit der wir unseren Körper versorgen.

  • Die mediterrane Ernährung mit viel Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten, Olivenöl und fettem Seefisch ist Vorbild und reduziert das Risko von Herz-Kreislauf-Problemen und Diabetes.

4. Ausreichend Schlaf:

Bestimmte Prozesse, die unsere Gesundheit positiv beeinflussen, laufen im Schlaf ab.

  • Wichtige Regenerationsprozesse laufen im Schlaf ab und können vor Demenzerkrankungen schützen

5. Soziale Kontakte:

Auch wenn wir manchmal gerne allein sind und die Ruhe genießen. Einsamkeit macht krank.

  • Menschen, die ungewollt allein sind, haben ein bis zu doppelt so hohes Risiko, an Alzheimer zu erkranken
  • Gespräche regen an und trainieren Konzentration, Gedächtnis, unsere Sinne und das Sprachvermögen

6. Risikofaktoren:

Worauf wir achten sollten und Einfluss nehmen können.

  • Gefäßerkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes, Herzrhythmusstörungen, erhöhte Cholesterinwerte, Übergewicht sind Risikofaktoren
  • Vermeiden Sie Alkohol und Rauchen
  • Menschen mit Depressionen, Schlafmangel und geringer Bildung haben ein erhöhtes Risko
  • Schwere Kopfverletzungen, wiederholte Gehirnerschütterungen, Hörverluste im Alter, aber auch Feinstaubbelastungen sind weitere Risikofaktoren.

Mehr erfahren über https://www.alzheimer-forschung.de/alzheimer/vorbeugen/

Die „Leitlinien der WHO zur Risikominderung von kognitivem Abbau und Demenz“ enthalten evidenzbasierte Empfehlungen zu Lebensstilverhalten und Interventionen, um kognitiven Abbau und Demenz zu verzögern oder vorzubeugen.

https://www.who.int/publications/i/item/risk-reduction-of-cognitive-decline-and-dementia