Experten der Neuroreha sprechen auf interdisziplinärem Kongress in Karlsruhe wie Prof. Dr. Anne Weißbach zum Thema:
Funktionelle Neurologische Störungen richtig diagnostizieren und therapieren
Funktionelle Neurologische Störungen (FNS) sind ernstzunehmende Erkrankungen, die neurologische Symptome wie Lähmungen, Bewegungsstörungen, Taubheitsgefühle, Schwindel oder Anfälle verursachen, ohne dass eine strukturelle Schädigung des Nervensystems nachweisbar ist. Stress, psychische Belastungen oder frühere traumatische Erlebnisse können eine Rolle spielen und das Gehirn anfällig für Fehlfunktionen in der Informationsverarbeitung machen, was zu den beobachteten Symptomen führt.
Da die Beschwerden oft falsch diagnostiziert werden, durchlaufen die Betroffenen zum Teil jahrelang erfolglose Therapien.
FNS – unterschätzt und unerkannt
Die renommierte Vortragende Prof. Dr. Anne Weißbach vom Institut für Systemische Motorikforschung (ISMS) der Universität zu Lübeck und dem Zentrum für seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Lübeck empfiehlt, das FNS in der Ausbildung von Ärzten und Therapeuten eine größere Rolle spielen sollte: „Unkenntnis kann diese weit verbreitete Krankheit verschlimmern und chronifizieren."
AdobeStock_1272257382_Anan_mitKI_web
Anne Weißbach erklärt: „Nur, weil keine erkennbaren Läsionen im Nervensystem gefunden werden, heißt das nicht, dass das Nervensystem einwandfrei funktioniert. Bei FNS handelt es sich um eine Funktionsstörung, bei der das Gehirn bestimmte Bewegungen und sensorische Signale nicht korrekt wahrnimmt und verarbeitet.“ Die Ärztin und Wissenschaftlerin beklagt den Bedeutungsverlust der klinisch-neurologischen körperlichen Untersuchung in der modernen Medizin und, dass der apparativen Diagnostik eine zu große Rolle in der Diagnosestellung der Erkrankung zukommt. Patienten erhalten aufgrund unauffälliger Befunde bei technischen Untersuchungsverfahren Rückmeldung über Erkrankungen, die ausgeschlossen wurden. Es wird aber häufig verpasst, den Betroffenen zu erläutern, woher ihre meist erheblichen Beschwerden kommen. „FNS ist eine echte, eigenständige Erkrankungsgruppe, keine Simulation. Die Stigmatisierung verschlimmert das Leiden dieser Patientengruppe zusätzlich.“
In Deutschland gibt es noch keine einheitlichen Leitlinien für die Diagnose und Behandlung von FNS
Anne Weißbach koordiniert die Entwicklung solcher Leitlinien für die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und will eine standardisierte und effektive Vorgehensweise etablieren.
Sie erklärt das Vorgehen: „Grundlage ist die korrekte Benennung und Definition dieser Erkrankung. International hat sich der Begriff 'Funktionelle Neurologische Störung' etabliert, da er die physiologischen Erkenntnisse über das Krankheitsbild besser widerspiegelt als veraltete Begriffe wie `psychogene Konversionsstörung`."
Eine zentrale Rolle spiele die Diagnosestellung: „Gut zuhören und die Beschreibung des Patienten hinsichtlich seiner Symptome richtig einzuordnen, sind bei der Untersuchung essenziell. Nur selten sind weitere technische Untersuchung notwendig, die immer nur dem Ausschluss anderer Erkrankungen dienen.“
AdobeStock_249986738_M.Doerr_u_M.Frommherz_web
Die richtige Diagnose und Benennung schafft Akzeptanz
Ein wesentliches diagnostisches Merkmal ist die Abhängigkeit der Symptome von der Aufmerksamkeit des Patienten. Beispielsweise kann ein funktionelles Zittern verschwinden, wenn die Aufmerksamkeit auf eine andere Aufgabe gelenkt wird. Dies unterscheidet FNS von nicht-funktionellen Störungen.
Es gibt effektive Behandlungsansätze für FNS
Die Therapie von FNS sollte individuell auf die Symptome und die spezifischen Auslöser des Patienten abgestimmt sein. Ein multimodaler Therapieansatz erfordert die Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen wie der Physiotherapie, Ergotherapie, Psychotherapie und Neurologie. Ziel ist es, neue Bewegungsmuster spielerisch zu erlernen. Ein zentrales Element dabei ist die Aufmerksamkeitsverlagerung: Statt sich auf die betroffene Körperregion zu konzentrieren, sollten Übungen den Fokus auf Bewegungsabläufe in nicht-betroffenen Körperbereichen legen.
„Viele Therapeuten behandeln FNS-Patienten nicht krankheitsspezifisch, weil sie mit dem Störungsbild nicht gut genug vertraut sind", erklärt Prof. Dr. Weißbach. „FNS ist mit seiner Symptomatik potenziell reversibel. Ohne strukturelle Schädigungen kann das Gehirn aufgrund von Physiotherapie und begleitender Psychotherapie wieder lernen, Signale richtig wahrzunehmen und zu verarbeiten.“
Das stationäre Setting für schwerkranke funktionelle Patienten ist unzureichend
Nur wenige Kliniken bieten den multiprofessionellen/ multimodalen Ansatz für FNS-Patienten an. Patienten mit schweren Beeinträchtigungen und hohem Pflegebedarf bleiben unbehandelt, da auch diese Kliniken dafür nicht eingerichtet sind.
Anne Weißbach ist überzeugt: „Das gemeinsame Gespräch, der Austausch von Wissen über diese Erkrankungen hilft, professionelles Interesse für FNS zu wecken und Netzwerke zu knüpfen, damit den Patienten zukünftig schneller und zielgenauer geholfen werden kann.“
Mehr zu FNS und Diagnose- und Behandlungsstrategien erläutert sie auf dem CON.THERA-Kongress vom 22. bis 24. Mai 2025 in der Messe Karlsruhe.
Der Therapeutenkongress CON.THERA legt den Schwerpunkt auf das Fachgebiet Neurorehabilitation und findet parallel zur REHAB Karlsruhe statt.
Foto: Messe Karlsruhe/ Behrendt und Rausch
Aufmerksamkeitsmodulation in der Therapie hilft Symptome abzuschwächen:
Die aktive Einbeziehung des Patienten ist ein wichtiger Aspekt. Dessen Symptome sind real und führen meist zu einer massiven Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Funktionelle Bewegungsstörungen können verbessert werden, wenn der Fokus auf eine andere Bewegung oder Tätigkeit, wie das Fangen eines Balls oder das Tanzen, gelenkt wird. Dieses Wissen hilft Patienten, ihre Erkrankung besser zu verstehen und aktiv an der Therapie mitzuwirken.